So gestaltet man Werbung gegen deren Wirkung sich das Gehirn nicht wehren kann

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Am Ende des Tages soll Werbung Menschen zu Käufern machen. Wieso viele Anzeigen und kommunikative Botschaften das nicht schaffen und wie man sie so gestalten kann, dass sie sofort ins Gehirn des Konsumenten gehen, möchte ich in diesem Artikel zeigen.
Zuerst einmal: Zahlreiche Werbebotschaften sind Müll! Wieso? Weil sie gar nicht in den Kopf und damit in die Wahrnehmung der beabsichtigen Zielgruppe vordringen (können).

Denn machmal habe ich den Eindruck, dass einige Marketers bei der Gestaltung von Kommunikation und Werbebotschaften die psychologischen Basics außer Acht lassen oder dass sie ihnen nicht bekannt sind. Unabhängig davon, wie inhaltlich gut eine Werbebotschaft ist, muss sie zuerst einmal vom potentiellen Kunden wahrgenommen und verstanden werden. Eine der einfachsten und wirksamsten Weisheiten aus diesem Bereich stammt von Usability-Guru Steve Krug und lautet Don’t make me think.

Zunächst sollte man sich bewusst machen, dass Menschen nicht den ganzen Tag in freudiger Erwartung auf unsere Werbebotschaft warten. Vielmehr wird auf Konsumenten von allen Seiten ein permanent hoher Werbedruck ausgeübt, bei dem einzelne Botschaften in Konkurrenz zueinander stehen und um die Aufmerksamkeit des Nutzers buhlen.

Um als Sieger aus diesem Werbewettstreit hervorzugehen, sollten wir verstehen, wie Menschen generell Informationen und damit auch Werbung wahrnehmen.

Wie unser Gehirn so tickt – das Hemisphären-Modell

Das Hemisphärenmodell unseres Gehirns

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Werfen wir einen Blick in unser Gehirn. Die Neurophysiologie hat mit dem Hemisphären-Modell entdeckt, dass die linke und rechte Hirnhälfte jeweils unterschiedliche Zuständigkeiten haben. Während unsere rechte Hirnhälfte analog arbeitet und stark über Bilder, Stimmungen und ganzheitliche Eindrucke ansprechbar ist, sieht das bei der linken Hirnhälfte ganz anders aus. Sie arbeitet digital und sequentiell. Dabei ist die linke Hirnhälfte Zuständig für Logik, Analysen, Denkprozesse und Zahlen. Beispiel gefällig?

Ein Besuch im pariser Louvre erleben die meisten Menschen überwiegend rechts-hemisphärisch. Dann sieht ein Dialog unter Freunden in etwa so aus: “Schönes Gemälde, nicht wahr? Ja, das sieht hübsch aus. Ich mag die Farben.”
Experten würden bei diesen Besuch vermutlich analytisch vorgehen und ihn daher eher links-hemisphärisch durchführen: “Durch die raffinierte vertikale Achs-Teilung des pseudo-realistischen Schemas gelingt dem Maler eine transzendale Botschaft…” – Zugegeben, das Beispiel ist etwas überspitzt – aber im Kern zutreffend.

Das Konzept der festen Zuordnung der Eigenschaften der beiden Hemisphären ist in dieser Form nur zum Teil haltbar. Der Nobelpreisträger Kahneman und Tversky haben dafür die Begriffe System 1 und System 2 geprägt. System 1 nimmt dort die intuitiven Aufgaben wahr, die ich hier mit der rechten Gehirnhälfte umschrieben habe. System 2 entsprechend die Aufgaben, die hier mit der linken Hirnhälfte dargestellt wurden. Da das Modell von System 1 und System 2 etwas abstrakt ist, nutze ich der Anschaulichkeit halber in diesem Artikel weiterhin die rechte und linke Hemisphäre.

Wie lassen sich nun diese Erkenntnisse werbepsychologisch nutzen?

Für den Moment behalten wir im Hinterkopf, dass wir Menschen den größten Teil des Tages überwiegend mit der rechten Gehirnhälfte unterwegs sind, um Eindrücke und Informationen schnell einordnen zu können. Analysieren und Bewerten ist hingegen ein bewusster Prozess des Verarbeitens, das mittels der linken Gehirnhälfte stattfindet, die nur bei Bedarf hinzugeschaltet wird.

Für uns Marketers bedeutet dieses Wissen, dass wir unsere Kommunikation und damit auch Anzeigen, Banner, Newsletter und Co. so gestalten sollten, dass sie in mundgerechte Häppchen aufbereitet sind, die die rechte Gehirnhälfte sofort verdauen kann. Alles was darüber hinaus geht, sind Informationen, die die Zielgruppe nicht verarbeiten kann – zumindest solange der potentielle Kunde sich nicht intensiver damit beschäftigen möchte.


Kleiner Einschub aus der Praxis: Der Grund weshalb Werbung oftmals floppt, liegt manchmal schlichtweg daran, dass nach der Produktion des Werbemittels, z. B. ein TV-Spot, dem Auftraggeber nicht einfach erstmal dieser Spot kommentarlos gezeigt wird. Vielmehr wird vorher genau erklärt, wie die Agentur konzeptionell vorgegangen ist, welche Marktrecherche und kreative Leistung sie erbracht hat. Und erst anschließend wird der Spot gezeigt. Damit hat die Agentur bereits die Interpretationsarbeit des Gehirns geleistet und den Auftraggeber dazu gebracht, das Thema links-hemisphärisch zu verarbeiten. Aus dieser Perspektive heraus wird der Spot möglicherweise gut gemacht sein. Dabei wird aber außer acht gelassen, dass normale Konsumenten einen solchen Spot ganz anders wahrnehmen. Nämlich mehr aus dem Augenwinkel heraus und vor allem rechts-hemisphärisch.


Ein Modell, dass mit dem Hemisphären-Modell eng verknüpft ist, ist das Elaboration Likelihood Modell von Richard Petty und John Cacioppo.

Elaboration Likelihood Modell (ELM)

Insbesondere für Werbepsychologie ist das ELM ein klassisches Modell, das erklärt, wie Menschen beeinflussende Informationen wahrnehmen und verarbeiten.

Dabei wird grundsätzlich zwischen zwei Arten der persuasiven Kommunikation unterschieden:

  1. Die zentrale Route der Verarbeitung
  2. Die periphere Route der Verarbeitung

Angenommen wir sitzen in einem Fachvortrag für Onlinemarketing an dem wir inhaltlich sehr interessiert sind. Der Referent versucht uns einen gänzlich neuen Ansatz zu präsentieren, mit dem wir deutlich mehr Verkäufe erzielen können sollen.

Wenn wir an dem Vortrag inhaltlich interessiert sind und der Botschaft und den Argumenten folgen wollen, verarbeiten wir den Vortrag über die sogenannte zentrale Route. Wenn wir zu dem Ergebnis kommen, dass dieser neue Ansatz des Referenten wirklich gut ist, würde er bei uns eine Beeinflussung oder Einstellungsänderung erreichen, die lange anhält. Wir würden diesen Ansatz übernehmen, ausprobieren und ggf. auch anderen erzählen.

Wenn wir jedoch mit Onlinemarketing nichts am Hut haben und wir in diesem Vortrag eher zufällig reingestolpert sind werden wir die Botschaft des Referenten möglicherweise eher auf der peripheren Route der Verarbeitung wahrnehmen. Dabei werden nicht inhaltliche Aspekte (Argumente, inhaltliche Logik, etc.), sondern periphere Reize wie die Attraktivität des Referenten, dessen vermutete Kompetenz, die Ausstrahlung die Länge der Botschaft, etc. zur Bewertung herangezogen. Wenn uns der Redner durch sein Auftreten überzeugt hat, werden wir dessen Einstellung übernehmen – jedoch im Vergleich zur zentralen Route für einen kürzeren Zeitraum.

Vergleicht man das Hemisphären-Modell mit dem ELM kann man Gemeinsamkeiten erkennen. Es ist anzunehmen, dass die zentrale Route der Verarbeitung mit der linken Hemisphäre in Verbindung steht, da für das Folgen, Bewertungen und Durchdenken von Argumenten eher Bereiche der linken Hemisphäre wichtig sind. Umgekehrt verhält es sich so, dass für die periphere Route der Verarbeitung wie z. B. Eindrücke eher die rechte Gehirnhälfte angesprochen wird.

Übertragen auf das Marketing bedeutet das, dass wir oder besser gesagt unsere Werbebotschaft der “Redner” ist, der versucht das Publikum zu überzeugen. Und dabei kommt es stark darauf an, ob das Publikum an unserem Inhalt interessiert ist oder eben nicht. Hierbei kommt der Begriff des Involvements ins Spiel.

Bedeutung von High-Involvement und Low-Involvement für das Marketing

Ich stelle mir vor, dass ich einen Newsletter mit einem Angebot für eine neue Waschmaschine erhalte. Vermutlich würde ich derzeit den Newsletter noch nicht einmal  bewusst wahrnehmen, so schnell hätte ich ihn gelöscht. Ganz anders wäre die Situation, wenn sich ein amtlicher Motorschaden an meiner Waschmaschine ankündigt. Dann wäre ich vermutlich sehr empfänglich für solche Werbung.

Diese Beispiel zeigt bereits den Unterschied zwischen High- und Low-Involvement. Unter Involvement wird der Grad der Bereitschaft verstanden, sich mit einem Thema zu beschäftigen. Das Involvement zu einem Thema kann alle Zustände zwischen hoch und niedrig einnehmen. Wenn meine Waschmaschine funktioniert, ist mein Involvement-Niveau vermutlich sehr niedrig. In dem Moment, wo sie einem defekt erliegt, wird mein Involvement hingegen tendenziell recht ausgeprägt sein. 😉

Nun sind Waschmaschinen nicht die einzigen Anlässe, um unser Involvement zu prüfen. In der Praxis lassen sich nach Lachmann (2002) vier verschiedene Arten von Involvement unterscheiden:

Persönliches InvolvementPersönliches Involvment
Damit sind insbesondere langfristige Interessen wie Hobbys, ehrenamtliche Teilnahme zu bestimmten Themen, berufliche Themen, etc. gemeint. Hierbei bleibt das Involvement-Niveau konstant auf einem mittleren Niveau.

Phasen-InvolvementPhasen-Involvement
Menschen, die ein Kaufinteresse an einem Auto oder Haus haben. Auch die Jobsuche, die Abiballkleid-Suche oder das Großziehen des Kindes. Das alles sind Beispiele für das Phasen-Involvement. Während der Dauer der Phase ist das Involvement und damit das Interesse an Informationen zu den Themen hoch, davor und danach hingegen ist es nahezu nicht vorhanden.

Anlass-InvolvementAnlass-Involvement
Akute Anlässe wie Hunger, Schmerz, Abgabe eines Arbeitsergebnisses sind nur einige Beispiele für kurzfrsitiges Involvement von einigen Minuten bis Stunden.

 

Induziertes InvolvementInduziertes Involvement
Am besten kenntlich wird dieser Typ von Involvement durch seinen reizauslösenden Charakter. Dabei wird reagieren wir meist spontan. Beispiele dafür sind das Klingeln des Telefons, eintreffende Mails, Hupen, Signale. Ihre Involvement-Dauer ist nur recht kurz und flacht schnell ab.

Es ist sinnvoll diese vier Arten des Involvements sich in Erinnerung zu rufen, wenn mal wieder jemand von “High-Involvement-Produkten” spricht. Denn die gibt es per se nicht. Vielmehr hängt es von der Situation, den Interessen und den aktuellen Bedürfnissen des Kunden ab, was für ihn high und was low ist.

Fazit: Involvement meets ELM meets Hemisphären-Modell

Nun wird es spannend. Wie stehen diese 3 Modelle nun in Wechselwirkung und wie bringt mich das als Marketer weiter?

Wir Marketers haben es mit einer von zwei Ausprägungen zu tun. Entweder wir treffen auf einen potentiellen Kunden der bezüglich unseres Produktes high involviert ist, oder eben low. Natürlich ist das Involvement in der Realität ein Kontinuum, sodass es auch alle Zustände zwischen diesen beiden Polen gibt, aber der Vereinfachung halber nehmen wir das mal so an.

Der einfache Fall – der High-Involvement-Kunde

Jetzt ist der Fall, dass ein Kunde high involviert ist das Beste, dass und passieren kann. In diesem Fall können wir den Kunden mit weiteren und tiefer gehenden Informationen versorgen, denn er ist daran interessiert und, physiologisch betrachtet, bereit die Informationen mit seiner linken Hirnhälfte zu verarbeiten. Diese ist ja zuständig für Analyse und bewusste Denkprozesse. Wir können den Nutzer also zumuten, sich etwas intensiver mit Zahlen, abwägen und vergleichen und zu befassen. Eine in dieser Phase herbeigeführte Einstellungsänderung würde, um es mit dem ELM zu sagen, über die zentrale Route der Verarbeitung stattfinden und daher auch langfristiger wirken.

Dennoch muss einschränkend erwähnt werden, dass ein High-Involvement noch nicht zwingend bedeutet, dass ein potentieller Kunde auch bei uns kauft. Aber er ist immerhin an unserem Produkt oder Thema sehr interessiert und befindet sich in diesem Moment möglicherweise in der Phase der Informationssuche und des Vergleichens.

Aus Online-Marketingsicht nutzen wir für diese Zielgruppe Instrumente wie das Remarketing, Chat-Bots, aber auch verhaltens- und entscheidungspsychologische Mechanismen wie z. B. den Decoy-Effekt beim Angebotsvergleich, das Herding und viele weitere Instrumente der Conversionoptimierung.

Der schwierigere (und häufigere) Fall – der Low-Involvment-Kunde

Zum Großteil treffen wir jedoch mit unserer Werbebotschaft auf Menschen, die bezüglich unseres Produktes low involviert sind. Sie haben also kein (aktuelles) Interesse an unseren Produkten. Da sie unsere Werbung nur rechts-hemispährisch wahrnehmen, haben wir als Marketers auch nur Platz für eine begrenzte Anzahl an Informationen, die überhaupt die Chance haben bis ins Gehirn vordringen zu können.

Natürlich ist es besser, von vornherein durch ein gutes Targeting die “Streuverluste” zu minimieren und nur die potentiellen Kunden anzusprechen, die ein generelles Interesse an unseren Produkten haben. Aber zum einen gibt es diese Möglichkeit nicht überall und zum anderen haben wir ja gelernt, dass das Involvement sich auch kurzfristig ändern kann. Wenn die Waschmaschine spontan ausfällt, lässt sich das selbst mit dem besten Facebook-Targetingmöglichkeiten nicht vorher entdecken.

Das bedeutet für uns, dass wir potentielle Kunden unter Low-Involvement anders ansprechen müssen. Im Kern stellt sich also die Frage: Wie schafft man trotz eines Low-Involvement beim Konsumenten seine Werbebotschaft so zu gestalten, dass sie wahrgenommen wird – und das trotz einer nur flüchtigen Zuwendung? Die Antwort, inklusive praktischer Tipps und Beispiele findet ihr im nächsten Artikel „Don’t make me think – die kognitive Einstiegshürde gering halten“.

Schreibt doch gerne in die Kommentare, was eure persönlichen Lösungsansätze sind und ob ihr dem Inhalt des Artikel zustimmt oder eine andere Meinung dazu habt.

Geschrieben von Marcel Gabor
Marcel Gabor ist Autor des Blogs und Marketing Enthusiast. Er befasst sich mit Themen des Online-Marketings, der Sozialpsychologie und der Netzpolitik.