Reaktantes Verhalten kennt sicherlich jeder von uns im Alltag. Damit ist in der Regel weniger Trotz gemeint, sondern viel mehr das typische Habenwollen von dem, was man gerade nicht bekommen kann.

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Psychologische Reaktanz stammt aus der Sozialpsychologie und wurde durch Brehm in seinem 1966 veröffentlichten Buch zur Theorie der Reaktanz begründet. Brehm nahm an, dass es sich dabei um eine psychologische Abwehrreaktion handele, die durch die Einschränkung von inneren oder äußeren Freiheitsspielräumen entsteht. Als Reaktanz wird der Umstand beschrieben, dass eine weggefallene Alternative durch die fehlende Wahlfreiheit wertiger empfunden wird, als alle übrigen. Im Klartext: Ich bekehre das am meisten, was ich nicht haben kann. Grundsätzlich zielt ein solches reaktantes Verhalten auf die Wiederherstellung der bedrohten oder eingeschränkten Freiheit ab. Und das kann manchmal sehr irrationale Auswüchse annehmen. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass die meisten Prozesse im Gehirn unbewusst ablaufen und nicht oder nur bedingt willentlich kontrolliert werden können. Das ist auch der Grund, weshalb dieses Feld für die Werbung spannend ist. Denn wenn man versteht, wie Menschen funktionieren, kann man sie auch beeinflussen.

Der Effekt der begrenzten Verfügbarkeit im Online-Marketing

Die klassische Werbung hat sich die oben genannten Reaktanzmechanismen schon länger zu Nutze gemacht. Aktionszeiträume, limited Editions und das typische „Nur für kurze Zeit“ sind übliche Floskeln der persuasiven Kommunikation – dem Versuch der Beeinflussung des Kunden durch Werbetexte. Ziel ist es dabei, ein sogenanntes reaktantes Verhalten auszuzulösen.

Dabei soll sich folgendes Szenario im Kopf des Konsumten abspielen:

  1. Wahrnehmung von „Produkt X nur für kurze Zeit erhältlich“
  2. Die Handlungsoption Produkt X zu erwerben fällt demnächst weg
  3. Konsument fühlt Wahlalternative „Produkt X zu kaufen“ bedroht
  4. Reaktanz tritt ein
  5. Verhalten „Produkt X kaufen, bevor es nicht mehr erhältlich ist“ wird gezeigt

Wenn man das so liest, kann man nicht glauben, dass das funktioniert, aber genau das ist der Fall. Diese Art der künstlichen Verknappung funktioniert über die Gesamtheit der Konsumenten gesehen sehr gut. Ansonsten würden uns diese Werbetexte nicht ständig begleiten.

Durch die breite Verfügbarkeit des Internets werden diese bekannten Mechanismen auch im Online-Marketing angewandt. Beliebt sind provozierte reaktante Verhaltensweisen durch einen direkten oder indirekt erzeugten Zeitdruck. So finden sich bei Hotelbuchungen häufig augenscheinliche Angebote wie z. B. „Reservierung bis heute 18 Uhr – kostenfrei.“. Verschwiegen wird, dass Reservierungen i.d.R. immer kostenlos sind. Allein durch die Nennung einer Uhrzeit, wird versucht, beim Konsumenten der Eindruck eines knappen Guts zu erzeugen.

Künstliche Verknappungs meets sozialer Wettbewerb

Zudem ermöglicht das Internet die Nutzung von technischen Hilfsmitteln, die es vorher nicht gab. Beispielsweise lässt sich die Auslastung von Hotelzimmern oder Verfügbarkeit eines Produktes in Echtzeit abbilden. Durch die sich daraus ergebenden Implikationen ist es möglich, klassische psychologische Mechanismen mit modernen technischen Mitteln zu kombinieren, um die Effekte der Verknappung noch weiter zu stärken. So wird der Kaufdruck durch Phrasen wie „letzte Buchung vor 3 Minuten“ oder „noch 3 Zimmer verfügbar“ gesteigert.

Sicherlich hat jeder von uns ein Bild vor Augen, wenn es um Krabbeltische beim Sommerschlussverkauf geht – Dutzende oder hundere von Menschen, die um das selbe Kleidungsstück eifern, teilweise sogar handgreiflich werden. Erstaunlicher Weise lässt sich dieser soziale Wettbewerb um das gleiche Gut auch im Online-Marketing abbilden – auch hier gut in der Hotelbranche zu sehen.

Künstliche Verknappung bei Hotelbuchungen

Sozialer Wettbewerb bei Hotelbuchungen

Da bei Konsumenten das Konzept der Echtzeitprüfung bekannt und akzeptiert ist, lässt sich der Kaufdruck steigern, in dem der Kunde durch Phrasen wie „Beliebt! Es sehen sich gerade 93 Person dieses Hotel an“ direkt in Konkurrenz zu anderen Konsumenten gesetzt wird. Durch dieses psychologische Hilfsmittel wird der Umstand ausgeglichen, dass Konsumenten im Onlinehandel sich in Konkurrenz zu anderen Kunden nicht sehen können.

Bei mir und spätestens jetzt auch bei euch funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr, weil ich eben um genau diesen weiß und mir der versuchten Beeinflussung bewusst bin. Solches Wissen oder Erkennen ist grundsätzlich immer ein gutes „Gegenmittel“. Wenn ich um eine Manipulations-Technik weiß, kann ich eine Situation besser reflektieren und mich der Beeinflussung entziehen.

Kennt ihr noch gute Beispiele aus dem Online-Marketing, wo die künstliche Verknappung oder der soziale Wettbewerb besonders gut sichtbar sind? Dann schreibts in die Kommentare!

 

 

Geschrieben von Marcel Gabor
Marcel Gabor ist Autor des Blogs und Marketing Enthusiast. Er befasst sich mit Themen des Online-Marketings, der Sozialpsychologie und der Netzpolitik.